Die kosmische Inflation, Teil 2

Die kosmische Inflation, Teil 2

³

 

In der Einführung zu diesem Thema (https://cosmoblog.space/die-kosmische-inflation-vorbereitende-einfuehrung/) haben wir uns mit der Historie, den Wegen (und Irrwegen) sowie den zugrunde liegenden Theorien zurück zum allerersten Ursprung  beschäftigt und als solchen die kosmische Inflation ins Visier genommen. Wir hatten gesehen, dass wir in diesem Bemühen nur zurück bis zu 380 000 Jahren nach dem Uranfang gelangen (die Gründe hierfür finden sich in obigem Zitat). Das Wesen der kosmischen Inflation besteht in einer exponentiellen Ausdehnung von – ja, wovon? Es war doch noch nichts da, was sich ausdehen könnte. Der theoretische Marsch zurück von 380 000 Jahren bis zum Punkt 0,00 endete in einer „Singularität“, einer freundlichen Bezeichnung für den Zusammenbruch unserer Physik – ein schöner Begriff ohne Inhalt im doppelten Wortsinn.

Die Quantenbehandlung der kosmischen Inflation als Grundbedingung für Fortschritte

Das war der Status seit 100 Jahren (Einstein) und bis vor wenigen Jahrzehnten. Dann endlich wurde die Astrophysik konsequenter indem sie sich daran erinnerte, dass das Kleinste vom Kleinen ja nur von der Quantenphysik beschrieben werden kann und soll.Die Quantenphysik als „weisser Ritter“ – damit endete unsere Einführung in das brisante Thema ‚kosmische Inflation‘.

Bevor wir uns auf dieses Gebiet begeben, bedarf es einer weiteren Klärung. Wurde als absoluter Anfang bis vor ca. 10-15 Jahren nicht der populäre „Big Bang“, der Urknall gehandelt? Dem sollte seinerzeit dann die kosmische Inflation folgen: man hatte damit ja etwas, das sich ausdehnen konnte. Aber leider: es hat nicht sollen sein. Den Urknall als gigantische Explosion aus dem Nichts hat es nie gegeben. Ein einfacher Grund: in der „Welt“ der Quanten, die wir ja dringend zur Beschreibung des Uranfangs benötigen, explodiert nichts.

Die kosmische Inflation als absoluter Anfang gefolgt vom sog. „Urknall“

Der heisse Urknall (engl.: the hot Big Bang) kann nicht der Anfang von Zeit, Raum und Materie gewesen sein, dem dann die exponentielle, gewaltige Ausdehnung dieses „Universums“ folgte. Nach allem, was wir bis heute messen und evaluieren konnten, gibt es keinerlei Hinweise hierauf. Er war vielmehr ein früher, heisser und rasch (aber nicht exponentiell) expandierender Zustand, der der kosmischen Inflation folgte. Es gab vorher eine Phase, in der das entstehende Universum weder Materie noch Strahlung enthielt, sondern ausschliesslich Energie, die eine der Raumzeit innewohnende Eigenschaft ist (vgl, hierzu auch die blogposts zu Dunkler Energie, hier https://cosmoblog.space/dunkle-energie-teil-2-eigenschaften-und-wirkung/)

Diese allererste Phase war nach heutigem Wissensstand also die kosmische Inflation mit einer Dauer zwischen ca. 10-35 und 10-33 Sekunden. In dieser unvostellbar kurzen Zeit wuchs der Raum des Universums von einer Grösse, kleiner als ein Proton zur Grösse einer Grapefruit. Danach endete die inflationäre Phase, wobei die dem Raum inhärente Energie in Strahlung und Materie verwandelt wurde. Genau dieser Vorgang wird heute als heisser Urknall bezeichnet. Dieser entsteht also aus und nach der inflationären Phase. Ihm werde ich in Kürze einen eigenen blogpost widmen.

Geschichte und Entwicklung der Idee der kosmischen Inflation

Jetzt also zurück zum Vorgang der kosmischen Inflation. Wie kam es überhaupt zu dieser Idee?  Im Jahr 1980 machte der seinerzeit an der Stanford University (und heute am MIT im Cambridge, Ma.) arbeitende Physiker Alan H. Guth eine Zufallsentdeckung, die in der Idee der kosmischen Inflation mündete, als er sich mit magnetischen Monopolen – Magneten mit nur einem Pol – beschäftigte. Magnetische Monopole wären zusammen mit anderen energiereichen Überbleibseln (engl.: high energy relics)  physikalisch  zu fordern, wenn der absolute Anfang tatsächlich ein unbegrenzt heisser Urknall gewesen wäre.    Die seinerzeit herrschende Meinung zum Urknall sagte kurz danach eine riesige Menge von magnetischen Monopolen voraus, Nichts derartiges wurde je gefunden.

Guth et al. fanden, dass das Problem lösbar ist, wenn man annimmt, dass kurz nach dem Urknall ein Phasenübergang im entstehenden Universum stattfand, vergleichbar etwa dem Gefrieren von Wasser zu Eis. Auch hier ist es möglich, dass bei sehr sauberem Wasser (das keine Kondensationskerne, wie zum Beispiel Staub enthält), dieses nicht bei null Grad, sondern bei deutlich tieferer Temperatur erst gefriert. Der Phasenübergang findet dann bei unterkühlter Temperatur statt, wobei eine erhebliche Menge an (Kondensations-)Energie frei wird. Analog könnte der Phasenübergang des Universums (und davon gab es mehrere), ebenfalls in einem sogar super-unterkühlten Zustand stattgefunden haben. In diesem Fall würde die Entstehung von magnetischen Monopolen unterdrückt. Guth erkannte dabei, dass als Folge der Superunterkühlung die freiwerdende Energie das Universum in eine Phase exponentieller Ausdehnung reißen würde. Das war die Idee der kosmischen Inflation – der Mutter aller Inflationen.

Guth selbst erkannte, dass die Inflationstheorie im ursprünglichen Zustand nicht überlebensfähig war: Die astronomisch beobachtete Homogenität des Universums in alle Richtungen war nicht gegeben, da Blasenbildung und topologische Defekte, wie sie auch beim Phasenübergang von Wasser zu Eis auftreten zum Beispiel, als Grenzen aufgrund verschiedener räumlicher Richtungen oder Risse im Eis mit verschiedener Orientierung, dem entgegenstanden.

Verbesserungen, die diese Probleme lösten und als »Neue Inflation« bezeichnet wurden, liessen nicht lange auf sich warten. Die Forscher, die so die geniale Idee retteten, waren Andrei Linde, Paul Steinhardt und Andreas Albrecht (an den Universitäten Stanford beziehungsweise Princeton und California, Davis). Ihre Hauptidee war, dass sich auch weiterhin die Blasen bildeten, aber von so enormer Größe sind, dass jede einzelne unser gesamtes, sichtbares Universum umschließen kann.

Neue Ideen retten die kosmische Inflation und führen zu neuen Lösungen alter Probleme

Mit anderen Worten: Wir leben in einer gigantischen Blase, die durch unvorstellbare Expansion entstanden ist – in einer von vielen. Dies löst unter anderem sehr elegant das Problem der magnetischen Monopole: Sie wurden durch die ungeheure, inflationäre Ausdehnung derartig verdünnt, dass die Wahrscheinlichkeit, einen zu finden, gegen Null geht. Gleichzeitig erklärt dieser Mechanismus auch plausibel die flache Geometrie unseres Universums. Jede wahrnehmbare Krümmung wurde durch die gewaltige Expansion ausgebügelt. Man stelle sich zur Veranschaulichung einen Ballon vor, dessen Oberfläche per definitionem gekrümmt ist. Wenn man ihn immer weiter und weiter aufbläst, nimmt die Krümmung immer weiter ab, bis die Oberfläche flach aussieht, weil sie so riesengroß geworden ist. Im täglichen Leben erfahren wir Ähnliches, wenn wir irgendwo auf der Erde laufen. Die Oberfläche erscheint bis auf lokale Erhebungen völlig flach, die existierende Krümmung können wir dort nicht wahrnehmen.

Der nach Beendigung der kosmischen Inflation einsetzende „Urknall“, der natürlich keiner war (s. oben), war auch nicht der Beginn der Raumzeit, wohl aber der Beginn unseres beobachtbaren Universums. Die kosmische Inflation selbst stand also am Anfang von allem. Aufgrund der ungeheuren inneren Energie in der zunächst entstandenen materielosen Raumzeit katapultierte die kosmische Inflation das „Universum“ von sub-submikroskopischer Dimension in eine makroskopische.

Die Quantenbehandlung setzt sich durch

Dies bedeutet nichts anderes als die obligatorische Anwendung der Quantenphysik auf diesen allerersten Vorgang, der von nirgendwoher zu kommen scheint. Nur: es gibt zu diesem Zeitpunkt kein Nirgendwoher, keine Leere, kein Vakuum. Letzteres ist untrennbar mit dem materiellen Universum verbunden, von Feldern und Quantenfluktuationen durchzogen. Die einzig sichere Erkenntnis zur kosmischen Inflation ist die eines Quantenphänomens.

Dies ist nicht weniger als der Schlüssel für eine Reihe von Beobachtungen, die anders nicht zu erklären wären. Wir haben oben gesehen, dass jede wahrnehmbare Krümmung des Universums durch die kosmische Inflation ausgebügelt wurde. Die Betonung liegt hier jedoch auf wahrnehmbar. Im submikroskopischen Quantenbereich sieht es ganz anders aus. Im winzigsten Massstab gibt es dort ein brodelndes Durcheinander: Verdichtungen, Verdünnungen, Höhen und Tiefen – alles ist in dauernder Bewegung. Man spicht auch von „Quantenschaum“. Die Gesetze unserer klassischen Physik sind völlig ausgehebelt. Es gibt weder Ursache noch Wirkung noch einen Zeitpfeil. In dieser Dimension gibt es also keine absolut glatten Oberflächen, sondern Imperfektionen in jede Richtung, getrieben von permanenter Bewegung. Das führt zu unaufhörlich sich verändernden Konstellationen und Dichten. Dies ist das Wesen der berühmten „Quantenfluktuationen.

Quantenfluktuationen

Wir befinden uns immer noch im materie- und strahlungsfreien Raum, was nichts anderes heisst, als dass auch die Quantenfluktuationen eine inhärente Eigenschaft der Raumzeit sind. Hier setzt die von unvorstellbarer Energie ausgelöste und unterhaltene kosmische Inflation ein. Nach ca. 10-33 Sekunden ist der Spuk vorüber und das „Universum“ um den Faktor 1026 gewachsen

Was passiert dabei mit den Quantenfluktuationen, den submikroskopischen  Unregelmässigkeiten?  Richtig, sie werden um den gleichen Faktor gestreckt und in makroskopische Dimension verschoben.  Im jetzt sofort entstehenden anschliessenden Urknall, der zunächst zu einem superheissen Plasma führt, ergeben sich Stellen minimalst höherer oder niedrigerer Dichte. Grössenordnung der Unterschiede 1 Teil pro 100 000. Auch während der kosmischen Inflation gehen die Quantenfluktuationen weiter und überlagern die duch die Ausdehnung vergrösserten Fluktuationen davor. Auf diese Weise entstehen Regionen verschiedenster Grössen und verschiedener Dichte. Mit dem Ende der kosmischen Inflation brechen die Quantenfluktuationen ab.

Wichtigste Folge der kosmischen Inflation ist die Strukturbilung im Universum

Dies ist nicht weniger als die mit Abstand wichtigste Konsequenz der kosmischen Inflation. Ohne sie gäbe es keinerlei Strukturen Im Universum, keine Lichtjahre langen „Fäden“ dunkler Materie, die ihrerseits normale baryonische Materie gravitativ anlagert, keine Galaxien und Sterne und keine andere Materieart als Wasserstoff und Helium. Und noch eine Kleinigkeit würde fehlen: Wir.

Die Imperfektionen in der Dichte des Plasmas führen zum Zeitpunkt der Freisetzung von Photonen, also des Einsetzens der kosmischen Hintergrundstrahlung 380 000 Jahre nach der kosmischen Inflation zu winzigen Temperaturunterschieden, die der ganzen Makrostruktur des Kosmos zugrunde liegen. Wir haben dies ausführlich in den blogposts zum kosmischen Mikrowellen-Hintergrund diskutiert (https://cosmoblog.space/kosmischer-mikrowellen-hintergrund/).

Es lohnt sich, einen Moment innezuhalten und sich klar zu machen:  Aus diesem blogpost nehmen wir die ungeheuerliche Information mit, dass die gesamten, heute klumpigen Strukturen unseres riesigen Universums, die sich über 13,8 Milliarden Jahre entwickelt haben bereits in den ersten 10-33 Sekunden angelegt und geschaffen wurden.

Im kommenden blogpost werden wir uns dann mit der Entstehung von Strahlung und Materie und dem Verlauf ihrer Entwicklung beschäftigen: dem heissen „Urknall“.

 

 

Headerbild: Spinnenetzstruktur des Universums; Würfel mit Kantenlänge 1 Milliarde Lichtjahre; Bolshoi Simulation. Credit: NASA, ESA and E. Hallman, University of Colorado; Boulder

Beitragsbild: Illustration des frühesten „Universums“ bestehend aus Quantenschaum

Credit: NASA/CXC/M. Weiss

Verantwortlich: Peter H. Jacobi (Autor von „Cosmoblog. Kosmologie: Über die Grundlagen zur Spitzenforschung von heute und morgen“; K.Fischer Verlag, September 2017)

 

 

 

 

 

 

 

 

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.