Das Ausfrieren der vier fundamentalen   Kräfte des Universums,    Teil 2

Das Ausfrieren der vier fundamentalen   Kräfte des Universums,    Teil 2

 

In Teil 1 dieses Themas (https://cosmoblog.space/das-ausfrieren-der-vier-fundamentalen-kraefte-des-universums-teil-1/) haben wir mit dem Ausfrieren der sog. „elektroschwachen Kraft“ geendet. Sie spaltet sich sofort danach in zwei einzelne Kräfte auf: die bereits behandelte elektromagnetische Kraft und die „schwache Kernkraft“. Letztere wird uns in diesem blogpost beschäftigen.

Die elektroschwache Kraft ist somit die einzige vereinheitlichte Kraft, die als solche im heißen Plasma nach dem Ausfrieren der starken Kernkraft noch übrig ist. Sie bestimmt die sog. »elektroschwache Ära«. Diese endet 10-10 Sekunden nach dem Urknall, wenn die Temperatur durch die kontinuierliche Expansion des Universums unter zirka 1016 Kelvin gesunken ist, was einer Energie von unter 100 GeV entspricht. Danach zerfällt, wie erwähnt, die elektroschwache Kraft in die schwache Kernkraft und die elektromagnetische Kraft- zwei grundverschiedene Kräfte.

Die Bosonen der schwachen Kernkraft

Die Kräfte vermittelnden Teilchen sind -wie in Teil 1 besprochen –  die Bosonen. Entsprechend muss jeder Kraft (genauer: jedem Kraftfeld) ein Boson  zugeordnet werden. Vor dem Ausfrieren aus dem superheissen Plasma sind die Bosonen, wie alle Teilchen unter diesen Bedingungen, masselos. Danach wird es komplizierter: einige Bosonen bleiben nach dem Ausfrieren masselos. Beispiele sind die Gluonen der starken Kernkraft sowie die Photonen der elektromagnetischen Kraft. Wie sieht es nun bei der schwachen Kernkraft aus? Die einfachste Antwort heisst: ziemlich komplex!

Die schwache Kernkraft wird durch gleich drei Bosonen vermittelt. Es sind das W+-, das W– und das Z0 – Teilchen. Sie alle haben -das sei vorweg genommen –  eine relativ schwere Masse . Die drei genannten Bosonen werden auch als Vektor- oder Eichbosonen  bezeichnet.  Ihre Entdeckung führte direkt zu einem massiven Problem, welches seinerzeit das Standardmodell der Teilchenphysik bedrohte. Dieses konnte die Massen der drei Eichbosonen nicht erklären. Nach dem Standardmodell müssten alle Bosonen masselos sein.

Weitere Kopfschmerzen bereitete die Tatsache, dass die schwache Kernkraft eine extrem kurze Reichweite hat – etwa im Vergleich zur elektromagnetischen Kraft –, sie liegt vollständig im Quantenbereich. Entsprechend der Quantenfeldtheorie müssen jedoch Bosonen, die nur über sehr kurze (Quanten-) Distanzen wechselwirken, Masse haben, und zwar eine umso höhere, je kürzer ihre Reichweite ist, und umgekehrt. Stand der Kenntnis aber war seinerzeit, dass die Theorie der Kräfte nur funktioniert, wenn die vermittelnden Eichbosonen masselos sind und die Kräfte eine große Reichweite haben. Wenn Eichbosonen Masse haben, funktioniert die Theorie jedoch nicht mehr bei hohen Energien, da bei dieser ja definitionsgemäß die Eichbosonen masselos sind.

Symmetrien und Symmetriebrüche

Diese beiden Begriffe müssen wir noch einführen, um das Problem zu begreifen und zu lösen. Was also ist Symmetrie, und was versteht man unter einem Symmetriebruch? Ganz allgemein bezeichnet man einen Gegenstand wie auch ein System als symmetrisch, wenn man ihn/es auf verschiedene Weise manipulieren kann, ohne dass eine Änderung seiner Gestalt oder Konfiguration zu bemerken ist – es also keinen Unterschied zwischen vorher und nachher gibt. Im Alltagslaben geht es meist um räumliche Symmetrie. Betrachten wir als Beispiel die Symmetrie einer Schneeflocke. Wenn man eine Schneeflocke um einen Winkel von 60° (oder 120°, 180°) dreht, ist dies jeweils von der Originalorientierung nicht unterscheidbar. Die Gestalt der Schneeflocke ist damit invariant (unveränderlich) unter Rotationen von 60° und dessen Vielfachen. Interessant ist die Feststellung, dass die Schneeflocke damit eine niedrigere Symmetrie besitzt als ein Tank voll Wasser, das gegenüber allen denkbaren Rotationen invariant ist und nicht nur unter bestimmten Winkeln wie die Schneeflocke. Damit wäre der Übergang von Wasser in Schnee bereits ein Symmetriebruch.

Es gibt eine ganze Reihe von Symmetrien. Die räumliche eignet sich bestens zur Erklärung des Gesamtprinzips und beruht auf äußerer – struktureller oder geometrischer – Symmetrie.  Was uns hier speziell interessiert ist die sog. innere Symmetrie. die nichts mit räumlicher Orientierung zu tun hat. Eine innere Symmetrie liegt vor, wenn in einem System verschiedene Teile ausgetauscht werden können, ohne dass sich das System verändert. Ein anschauliches Beispiel betrifft elektrische Ladungen. Positioniert man zwei Ladungen gleichen Vorzeichens (positiv oder negativ) nebeneinander, so stoßen sie sich ab. Tauscht man die Positionen dieser beiden Ladungen aus, so ändert sich nichts, sie stoßen sich weiter ab. Nimmt man dagegen eine positive und eine negative Ladung, so ziehen sie sich an. Tauscht man die positive Ladung gegen die negative und umgekehrt, so ändert sich wiederum nichts. Es liegt somit eine innere Symmetrie vor, die besagt, dass elektrische Effekte sich nicht ändern, wenn man positive gegen negative Ladungen austauscht und umgekehrt.

Anwendung und Bruch der Inneren Symmetrie

In der Teilchenphysik kann man das Konzept der inneren Symmetrie auf die Beschreibung der Kräfte – starke und schwache Kernkraft sowie Elektromagnetismus – anwenden. Innere Symmetrie besagt hier, dass Quantenfelder und die mit ihnen jeweils assoziierten Teilchen – zum Beispiel das elektromagnetische Feld und das zugehörige Boson (das Photon) – austauschbar sind, ohne das betroffene System zu verändern. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen innerer Symmetrie und den durch Bosonen vermittelten Wechselwirkungen. Um die innere Symmetrie zu wahren, müssen immer beide Komponenten eines betrachteten Systems gleichzeitig ausgetauscht werden, wie bei den elektrischen Ladungspaaren beschrieben    (s. oben).

Zurück zu den drei Bosonen der schwachen Kernkraft.  Bei den-hohen Energien im superheissen Plasma sind, wie wir gesehen haben, die drei Eichbosonen (W+, W und Z0) masselos und damit die innere Symmetrie gewahrt, aber hier scheint sich die Katze in den Schwanz zu beißen: Entweder die innere Symmetrie ist gewahrt und die Teilchen sind masselos, oder sie ist gebrochen und die Bosonen haben eine Masse, was mit der bisherigen Theorie der Wechselwirkungen im Standardmodell nicht vereinbar war.Wie wir schon mehrfach diskutiert haben, sind bei sehr hohen Tem- peraturen Elementarteilchen nicht voneinander zu unterscheiden und masselos

Das Ausfrieren durch die expansionsbedingte Abkühlung des Universums  ist ein Symmetriebruch der zu vier unterscheidbaren Bosonen führt, von denen drei eine Masse tragen. Die niedrigere Ausfriertemperatur bedeutet gleichzeitig eine niedrigere Energie. 1973 wurden am Fermi-Beschleuniger bei Chicago erstmals Zerfälle beobachtet, die auf die Existenz der schwachen Eichbosonen hinwiesen.

Die Bosonen der schwachen Kernkraft besitzen Masse

Danach wurde klar, dass die Bosonen der schwachen Kraft eine Masse haben müssen, und zwar eine erhebliche im Bereich von 80 bis 100 GeV.  Diese Diskrepanz zum theoretischen Modell konnte lange nicht erklärt werden. Schließlich wurde im Januar 1983 die Entdeckung der ersten Vektorbosonen am CERN bekannt gegeben. Ihre Massen lagen im vorhergesagten Bereich. Nach dem oben Gesagten bedeutet dies, dass ein Symmetribruch stattgefunden haben muss.

Die letzte grosse Frage, die beantwortet werden muss lautet: woher kommt, bzw. was verleiht den Eichbosonen ihre Masse? Rein theoretisch wurde hierfür bereits vor über 50 Jahren ein Mechanismus postuliert, dessen Hauptautor der britische Physiker Peter HIGGS war. Danach muss es ein Quantenfeld geben, das den gesamten Raum inklusive des Vakuums ausfüllt, also ein sog. skalares Feld. Dieses Feld soll die Eigenschaft haben durch Wechselwirkung mit Elementarteilchen diesen ihre Masse zu verleihen. Da jedem Feld ein eigenes Boson zuzuordnen ist, muss es auch ein Higgs-Boson geben. Dieses Postulat wurde ein halbes Jahrhundert später auf grandiose Weise bestätigt. Am 4. Juli 2012 wurde es im Large Hadron Collider am CERN nachgwiesen. 2013 folgte hierfür der Physik-Nobelpreis. Die Entdeckung ist inzwischen vielfach bestätigt worden.

Massenerwerb durch das HIGGS-Feld

Damit war jetzt das letzte fehlende Glied, der Mechanismus des Massenerwerbs der drei Bosonen der schwachen Kernkraft gefunden. Wie funktioniert dieser Massenerwerb, der nicht nur die 3 Eichbosonen betrifft, sondern praktisch alle massetragenden Elementarteilchen. Tatsächlich ist das Higgs-Boson eine Anregung des Higgs-Feldes, die sich als Teilchen durch den Raum fortpflanzt, da das Higgs-Feld diesen ja vollkommen ausfüllt. Die Anregung des Higgs-Feldes erfolgt in unserem untersuchten Fall durch Elementarteilchen, die es durchqueren. Diesen Elementarteilchen verleiht das Higgs-Feld dabei eine Masse, die für jedes dieser Teilchen verschieden ist. Die Masse entsteht durch Wechselwirkung mit dem Higgs-Feld, wobei aus dem Feld Energie beziehungsweise Bosonen aufgenommen oder wieder abgegeben werden.

Weil die den Elementarteilchen bei der Durchquerung des allgegenwärtigen Higgs-Feldes verliehene Masse verschieden ist, muss auch die Wechselwirkung mit dem Feld verschieden sein. Ihre Stärke wird durch eine sogenannte Kopplungskonstante charakterisiert. Mit dem Higgs-Feld koppeln können nur Elementarteilchen, die eine sogenannte schwache Hyperladung besitzen, wie auch das Higgs-Boson selbst. Das Wort »Ladung« beschreibt nicht nur eine Möglichkeit, nämlich die einer elektrischen Ladung, obwohl sie die uns vertrauteste ist. Ladung bedeutet ganz allgemein, dass das betrachtete Teilchen mit einer spezifischen Eigenschaft »beladen« ist, die das Teilchen mitcharakterisiert.

Nur schwache Hyperladung von Bosonen führt zum Massenerwerb

Damit ist die schwache Hyperladung eine Quantenzahl von Elementarteilchen, wie z.B. auch der Spin von Elektronen oder die »Farbladung« von Quarks. Das Ausfrieren ist -wie weiter oben besprochen- ein Symmetriebruch, der zu vier unterscheidbaren Bosonen führt, von denen drei eine Masse tragen. Die Masse erwerben sie durch das Higgs-Feld. Manche Autoren sehen es auch als Ursache des Symmetriebruchs an. Die drei massetragenden Bosonen sind die beiden W- und das Z-Teilchen, die die schwache Kraft vermitteln, das vierte ist das masselose Photon, welches die elektromagnetische Kraft vermittelt. Nach dem »Ausfrieren« der vier Bosonen und der zugehörigen beiden Kräfte, der schwachen Kernkraft und der elektromagnetischen Kraft, kam es zu einer Wechselwirkung von drei Bosonen mit dem allgegenwärtigen Higgs-Feld. Das vierte Boson, also das Photon, kann nicht durch das Higgs-Feld beeinflusst werden, da es die schwache Hyperladung nicht trägt, und bleibt daher masselos.

Dies erklärt die naheliegende Frage, warum es beim Ausfrieren der Gluonen – den Vermittlern der starken Kernkraft – keinen Symmetriebruch gegeben hat. Auch die Gluonen tragen keine schwache Hyperladung und können daher nicht mit dem Higgsfeld wechselwirken, bleiben also masselos und erhalten so ihre Symmetrie. Abschliessend sei noch darauf hingewiesen, dass bei der Wechselwirkung mit dem Higgs-Feld die Bosonen eine schwache Ladung aus dem Feld aufnehmen oder in das Feld abgeben, ohne dieses zu verändern. Sie oszillieren also im Feld, was gleichbedeutend mit dem Erwerb von Masse ist. Wie groß diese Masse für jedes Elementarteilchen ausfällt, hängt von der jeweiligen Kopplungskonstante ab. Dieser Vorgang ist der HIGGS-Mechanismus.

 

Headerbild: Spinnenetzstruktur des Universums; Würfel mit Kantenlänge 1 Milliarde Lichtjahre; Bolshoi Simulation. Credit: NASA, ESA and E. Hallman, University of Colorado; Boulder

Beitragsbild: CMS Detektor des Large Hadron Collider (LHC) am CERN. Credit: CERN/CMS

Hier wurden die Massen der Eichbosonen bestimmt und das HIGGS-Boson entdeckt

 

Verantwortlich: Peter H. Jacobi (Autor von „Cosmoblog. Kosmologie: Über die Grundlagen zur Spitzenforschung von heute und morgen“; K.Fischer Verlag, September 2017)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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