Gravitationswellen Teil 3: Die Verschmelzung zweier Neutronensterne

Gravitationswellen Teil 3: Die Verschmelzung zweier Neutronensterne

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Am 17. August 2017 kam es zum bereits 5. Mal zur Entdeckung von Gravitationswellen, wieder simultan mit den beiden LIGO- und dem VIRGO Detektor. Am 16. Oktober wurde das Ereignis bekannt gegeben: es schlug wie eine Bombe ein und wird Astronomiegeschichte schreiben. Folgendes, an Dramatik nicht zu Überbietendes, spielte sich ab. Bereits beim Empfang des Signals (Bezeichnung GW 170817) war klar, dass es sich dieses Mal um etwas anderes als die Verschmelzung von zwei schwarzen Löchern handelte. Bei diesen war die Dauer des Signals extrem kurz, den Bruchteil einer Sekunde. Das neue Signal dagegen wurde für ca. 100 Sekunden empfangen! Dafür war es deutlich schwächer als die vorigen: Bei dem Livingstone Detektor musste es erst mühsam aus dem Hintergrundrauschen herausgerechnet werden. Auch das VIRGO Signal war extrem schwach. Darüber hinaus war die Signalfrequenz wesentlich höher; sie stieg von einigen Dutzend Hertz bis zu einem Kilohertz – das ist die für den Detektor maximale Entdeckungsfrequenz.

Diese Charakteristika des Gravitationswellensignals entsprechen genau denjenigen, die für zwei verschmelzende Neutronensterne berechnet bzw. simuliert wurden. Damit nicht genug: 1,7 Sekunden nach dem Eintreffen der Gravitationswellen registrierte das Fermi Gammastrahlen Teleskop der NASA einen  kurzen Gammastrahlen Ausbruch (engl. Gamma ray burst, GRB) in –wie sich später herausstellte – der identischen Himmelsregion wie der Ursprung der Gravitationswellen. Und genau das ist ebenfalls bei einerVerschmelzung von 2 Neutronensternen zu erwarten.

Sog. Fehlerrechtecke (engl. error boxes) bezeichnen den Raumausschnitt,  innerhalb dessen der Ursprung des Ereignisses lokalisiert ist. Dies gilt für alle empfangenen Signale und Detektoren. Durch die Kombination dieser Fehlerrechtecke von den LIGO Detektoren, dem Fermi Telekop und dem VIRGO Detektor, die sich tatsächlich in einem Punkt schnitten, gelang es, die Verschmelzung der beiden Neutronensterne exakt zu lokalisieren. Er befindet sich nahe der Konstellation Hydra (Wasserschlange) in derGalaxie NGC 4993 in einer Entfernung von 130 Millionen Lichtjahren

Nun gab es kein Halten mehr. Dutzende Teleskope aller Klassen auf der Erde  (wie die 10m Keck Teleskope auf Hawaii) und im erdnahen Weltraum (wie Hubble) richteten sich auf diese Lokalisation und knapp 12 Stunden nach dem Passieren der Gravitationswellen wurde in NGC 4993 ein neuer Lichtpunkt 17. Grösse entdeckt, der langsam schwächer wurde. Dies ist das optische Gegenstück des Gravitationswellen-  wie auch des Gammastrahlen – Signals.

Dies bedeutet nicht weniger als eine astronomische Sensation, den Beginn eines neuen Zeitalters in der Astronomie. Zum ersten Mal ist es gelungen ein Ereignis nicht nur durch die Beobachtung im elektromagnetischen Wellenbereich – vom Gammastrahlen- und Röntgenbereich über ultraviolettes, sichtbares und infrarotes Licht bis in den Mikrowelllen-und Radiobereich – simultan zu erfassen, sondern gleichzeitig ebenfalls über die Abstrahlung von Gravitationswellen. Jeder Wellenlängenbereich trägt eine andere Botschaft (engl. message), was tiefe Einblicke in den Mechanismus des beobachteten Ereignisses erlaubt. Schon wieder, zum 2. Mal in weniger als 2 Jahren wird eine ganz neue Astronomie verkündet: Nach der Gravitationsastronomie 2016 beginnt jetzt das Zeitalter der Multi-Messenger-Astronomie!

Das Nachglühen der Neutronensternverschmelzung in verschiedenen Wellenlängenbereichen haben rund 70 Observatorien weltweit beobachten können, von Tagen bis zu Wochen nach dem Ereignis. Die resultierende wissenschaftliche Publikation der Nachfolgebeobachtungen hat fast 4000 Autoren aus mehr als 900 Institutionen. Insgesamt gibt es eine Welle von Publikationen in den besten Journalen der Welt.

Wir haben gerade den grossen Unterschied zwischen der Verschmelzung von Schwarzen Löchern und von Neutronensternen besprochen. Allein die Tatsache, dass das Verschmelzungsereignis von elektromagnetischer Strahlung begleitet war, zeigt, dass es sich nicht um 2 schwarze Löcher handeln konnte. Aus einem schwarzen Loch kann kein Licht oder andere elektromagnetische Strahlung entweichen (daher der Name!). Entsprechend waren auch die 4 vorherigen Gravitationswellen-Ereignisse von keinerlei elektromagnetischer Strahlung begleitet, was umgekehrt bedeutet, dass es sich um schwarze Löcher handelte (s. meine letzten beiden blogs).

Aus den LIGO-/VIRGO-Ergebnissen geht hervor, dass die beiden sich umkreisenden und schliesslich verschmelzenden Neutronensterne eine Masse von1,1 bzw. 1,6 Sonenenmassen hatten. Etwa 1% dieser Massen wurde exakt nach der berühmten Einstein Gleichung E=mc2 als Energie, in diesem Fall eben Gravitationswellen abgestrahlt.

Neutronensterne sind nach schwarzen Löchern die spezifisch schwersten Objekte im Universum, unvorstellbar dicht gepackt. Sie entstehen aus Sternen mit mehr als 1,4 Sonnenmassen (sog. Chandrasekar Limit – dazu mehr in meinem nächsten blog) durch eine Supernova Explosion. Dabei wird durch die ungeheure Gravitation des zusammenstürzenden Kerns jeder entgegengesetzte Druck überwunden und in den Atomen verschmelzen die Protonen mit den freien Elektronen zu Neutronen – daher der Name. Der Durchmesser des Neutronensterns schrumpft dabei von Millionen Kilometern des intakten Sterns auf ca. 20 km. Ein Kubikmillimeter dieser Materie wiegt etwa hunderttausend Tonnen.

Unsere beiden Neutronensterne umkreisten sich über viele hundert Millionen Jahre. Und kamen sich dabei durch die hohen Anziehungskräfte immer näher. Diese Annäherung muss nach der Allgemeinen Relativitätstheorie zur Abstrahlung von Gravitationswellen führen. Die Beobachtung einer solchen Annäherung in binären Neutronenstern Systemen wird bereits seit Jahrzehnten als indirekter Beweis für die Existenz von Gravitationswellen gewertet (auch hierzu mehr im nächsten Blog). Die Abstrahlung von Gravitationswellen führt umgekehrt zu einer kontinuierlichen Verringerung der Orbitalenergie, was wiederum eine weitere Annäherung bedeutet usw. Im Endstadium umkreisten sich unsere beiden Neutronensterne ca. 200 mal pro Sekunde bevor sie schliesslich kollidierten. Ungelöst ist die Frage was durch die Kollision entstanden ist. Diskutiert werden ein schwarzes Loch oder ein riesiger, neuer Neutronenstern.

Der gesamte Vorgang birgt jedoch noch eine weitere, grosse astronomische Überraschung, verbunden mit der Lösung einer lange bestehenden fundamentalen Frage. Es geht um die Entstehung der schweren Elemente in ihren Sternfabriken. In „normalen“ Sternen wie der Sonne entstehen  sukzessive die Elemente bis zum Eisen durch Kernfusion der vorher entstandenen leichteren Elemente. Der Zyklus beginnt mit der Fusion von Wasserstoff (aus dem die Sterne anfangs ganz überwiegend bestehen) zu Helium, das dann -vereinfacht dargestellt- zu Kohlenstoff und Sauerstoff fusioniert und weiter bis zum Eisen.Eisen kann deswegen nicht entstehen, weil seine Fusion aus niedrigeren Elementen mehr Energie verbraucht als frei würde. Wissenschaftlicher Konsens war, dass alle höheren Elemente in Supernovae bei den dort herrschenden energetischen Extrembedingungen entstehen können. In den letzten Jahren gab es jedoch zunehmend Stimmen, dass dies für die schwersten Elemente wie Blei, Gold oder Platin nicht ausreicht. Diese entstünden danach – bei der Verschmelzung von Neutronensternen, genauer im Nachglühen der Verschmelzung, die als Kilonova bezeichnet wird. Eine Kilonova ist nicht so hell wie eine Supernova, aber hunderte Mal heller als eine Nova. Dieser Feuerball schleudert grosse Mengen an Kernmaterie der Neutronensterne mit bis zu ¼ der Lichtgeschwindigkeit in den Raum. Diese Kernmassen sind damit der extremen Gravitation der Neutronensterne entkommen und können sich ausdehnen. Dabei zerfallen die Neutronen zunehmend in Protonen und es kommt zu thermonuklearen Reaktionen zwischen beiden Partikelarten, wobei in grosser Menge schwere und z.T. radioaktive Atomkerne entstehen – und damit alle schweren Elemente. Diese werden innerhalb einer sich in alle Richtungen ausdehnenden extremst heissen Schale in den Weltraum katapultiert.

Da die Kilonova unserer Neutronensternverschmelzung in allen Wellenlängen des elektromagnetischen Spektrums intensiv untersucht wurde, auch spektroskopisch, ist jetzt die spannende Frage: sind Hinweise auf den oben beschriebenen Mechanismus gefunden worden? Die Antwort ist ein klares Ja! Tatsächlich wurden spektroskopisch viele seltene Erden Elemente und Schwermetalle wie Blei, Platin und Gold nachgewiesen. Die Mengen hiervon müssen gewaltig sein: Frühere Berechnungen zeigen, dass bei einer „normalen“ Neutronensternverschmelzung Gold in einer Menge von mindestens dem 10-20-fachen Gewicht des Mondes entsteht.

Weitere Einzelheiten zu dem Grossereignis folgen in Kürze.

 

Headerbild: Spinnenetzstruktur des Universums; Würfel mit Kantenlänge 1 Milliarde Lichtjahre; Bolshoi Simulation. Credit: NASA, ESA and E. Hallman, University of Colorado; Boulder

Beitragsbild:Künstlerische Illustration zweier verschmelzender Neutronensterne mit Gravitationswellen-Ausssendung und Gammastrahlen-Jets. Credit: NSF/LIGO/Sonoma State University/A. Simonnet

Verantwortlich: Peter H. Jacobi (Autor von „Cosmoblog. Kosmologie: Über die Grundlagen zur Spitzenforschung von heute und morgen“; K.Fischer Verlag, September 2017)

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