Dunkle Materie Teil 5: Die Rolle schwerer Neutrinos

Dunkle Materie Teil 5: Die Rolle schwerer Neutrinos

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Schon seit vielen Jahren beschäftigen sich verschiedene Arbeitsgruppen mit den wenigen Phänomenen, die durch das spektakulär erfolgreiche Standardmodell (SM) der Teilchenphysik nicht erklärbar sind. In früheren posts dieses Blogs wurde dies bereits kurz angesprochen. Zu diesen Phänomenen gehören vor allem die zweifelsfrei nachgewiesenen extrem kleinen Massen von Neutrinos und damit verbunden ihre Umwandelbarkeit ineinander. Zur Erinnerung: es gibt drei verschiedene Neutrinos, die vor allem bei Teilchenzerfällen immer zusammen mit einem spezifischen Elektron auftreten. Am geläufigsten ist der radioaktive ß-Zerfall, bei dem ein „normales“ Elektron (das ß-Teichen) mit dem –leichtesten- Elektron-Neutrino entsteht. Zusammen mit dem up- und down- Quark ist dies die Teilchenfamilie (auch als Generation bezeichnet) aus der fast die gesamte uns vertraute baryonische Materie (also auch wir selbst) besteht. Das nächst schwerere Neutrino ist Teil einer seltenen, exotischeren baryonischen Materieart, tritt in Verbindung mit dem nächst schwereren Elektron, dem Myon auf und wird dementsprechend als Myonneutrino (   µν  ) bezeichnet. Diese beiden Myon-Leptonen bilden zusammen mit dem Charm- und Strange- Quark die 2. Materiefamilie (bzw. Generation) im Standardmodell. Ebenso verhält es sich mit der dritten Familie, die die schwersten Teilchen umfasst und deren Leptonen als Tau-Elektron und Tau-Neutrino (τν ) bezeichnet werden. Die zugehörigen Quarks sind  die schweren Bottom-und Top-Quarks.

Die drei Neutrinoarten besitzen also eine, wenn auch sehr geringe, Masse (unter 2,2 eV; grössenordnungsmässig um ein Millionstel der Masse eines Elektrons). Nach dem SM müssten sie aber masselos sein! Ein weiteres ungelöstes Problem und zwar eines der grössten in der Astrophysik und Kosmologie ist der Überschuss von Materie über Antimaterie, die nach dem Urknall in exakt gleicher Menge entstanden aber nicht durch gegenseitige Vernichtung verschwunden ist, was eigentlich hätte der Fall sein müssen. Es musste also einen Mechanismus geben, der für einen winzigen Materieüberschuss gesorgt hat. Man bezeichnet diesen Sachverhalt auch als Baryon Asymmetrie.

 

Dieser war bereits eine Millisekunde nach dem Urknall manifest und hat sich bis heute nicht mehr verändert. Andernfalls hätte es unser Universum nicht gegeben. Auch hierauf hat das Standardmodell keine Antwort. Schliesslich kam in neuerer Zeit ein weiteres Problem hinzu: die Dunkle Materie. Niemand weiss, woraus sie besteht – wieder bleibt das Standardmodell stumm.

Die Dunkle Materie ist das Thema dieser blogposts. Doch was hat sie mit den anderen Problemen zu tun, ausser der Tatsache, dass alle mit einem der erfolgreichsten Modelle der Teilchenphysik nicht erklärbar sind?

Eigentlich nichts ist man versucht zu sagen, hätte es nicht in neuester Zeit eine geniale Frage gegeben. Sie lautet: Könnte es sein, dass all diese durch das SM nicht erklärbaren Phänomene miteinander zusammenhängen und auf eine gemeinsame Ursache zurückgehen? Ich zitiere hier stellvertretend drei Arbeitsgruppen, die diese Frage gestellt haben: Ernest Ma, Physical Reviews D73, 077301 (2006); Mayumi Aoki et al. ICRR, University ofTokyo, University of Toyama, Universidad Autómomma de Madrid (2009) sowie M.J. Baker & J. Kopp, Universität Mainz (2017).

Letztere habe ich bereits in meinem vorhergehenden blogpost (Dunkle Materie, Teil 4) zitiert und ihr neues Konzept kurz diskutiert (Stichwort: Symmetriebruch). Interessant ist auch der Titel der Veröffenlichung von Aoki et al: „Neutrino mass, Dark Matter and Baryon Asymmetry …“. Hier werden die 3 „Problemfälle“ gemeinsam benannt. Es wird also vermutet, dass die Neutrinomasse mit der Dunklen Materie und der Baryon Asymmetrie –irgendwie- zusammenhängt.

Sehen wir uns nochmals an, was Baker und Kopp vorgeschlagen haben. Sie postulieren für die Dunkle Materie am Beginn des Universums ein schweres, instabiles Teilchen, das kurz darauf im abkühlenden Universum einen Symmetriebruch durchläuft wie viele andere Teilchen und Kräfte (Fermionen und Bosonen) beim Erreichen verschiedener kühlerer Temperaturen auch. Dabei  könnte ein Zerfall des instabilen, hypothetischen Teilchens, z.B in ein sehr schweres und sehr leichtes Teilchen erfolgen. Dies wäre ein sog. seesaw-Mechanismus (engl. für Wippe), auf den ich unten zurückkomme.

Jetzt brauchen wir nur noch einen Bogen zu schlagen zur oben zitierten Veröffentlichung von Aoki et al., die stellvertretend für eine Reihe ähnlicher Publikationen steht, um zu erkennen, dass es sich bei dem Partikel der  Dunklen Materie um ein schweres Neutrino handeln könnte.

 

 

Ein schweres Neutrino, kann es das überhaupt geben, nachdem man jahrzehntelang glaubte, dass Neutrinos keine Masse besitzen und dann fand, dass es eine verschwindend geringe Masse besitzt? Ein schweres Neutrino ist bisher nicht gefunden worden, doch gibt es verschiedene Mechanismen nach denen es entstehen könnte. Einer davon ist der seesaw-Mechanismus.

Ich beginne mit einer bildlichen Erklärung, denn die Physik dieses Mechanismus ist hochkomplex und würde den Rahmen des Blogs sprengen. Sie reicht jedoch aus, um die Möglichkeiten aufzuzeigen ohne die physikalische Herleitung zu verbiegen. Der Zerfall eines schweren Teilchens produziert mindestens zwei leichtere Teilchen. Positioniert man diese (bildlich gesprochen) auf einer Wippe (seesaw), so kann es in Abhängigkeit ihrer Massen verschiedene Stellungen dieser Wippe geben. Hätten beide Zerfallsprodukte die gleiche Masse, würde die Wippe sich horizontal einstellen. Bei ungleichen Massen würde sie sich in die eine oder andere Richtung senken. Die entscheidende Idee dabei ist, dass je leichter das Teilchen auf der einen Seite ist, umso schwerer ist dasjenige auf der anderen Seite.

Auf den Fall eines überschweren, instabilen Vorläuferteilchens der Neutrinos angewandt bedeutet dies aufgrund der bekannten extrem kleinen Masse der leichten –uns geläufigen-Neutrinos, dass das –unbekannte- schwere Neutrino eine enorm hohe Masse haben muss. Physiker vermuten, dass sie bis zu 1015 Mal schwerer als ein Proton sein könnte. Damit wäre ein  direkter experimenteller Nachweis in weite Ferne gerückt, bzw. unmöglich, da unsere stärksten Teilchenbeschleuniger auch nicht annähernd die für ihre Erzeugung  notwendige Energie aufbringen könnten. Darüber hinaus wären die schweren Neutrinos aufgrund ihrer unvorstellbar hohen Masse instabil und wüden weiter zerfallen.

Ich höre jetzt die berechtigte Frage: wie können sie mit diesen Eigenschaften überhaupt als Teilchen der Dunklen Materie infrage kommen? Dies wird Thema des nächsten blogposts sein zusammen mit einem detaillierten Vergleich zwischen leichten und schweren Neutrinos, der zum Verständnis unverzichtbar ist.

 

Headerbild: Spinnenetzstruktur des Universums; Würfel mit Kantenlänge 1 Milliarde Lichtjahre; Bolshoi Simulation. Credit: NASA, ESA and E. Hallman, University of Colorado; Boulder

Beitragsbild: Das Neutrino -Symbol v, ny – als sein eigenes Antiteilchen. Credit: Artwork by Sandbox Studio, Chicago with Ana Kova; Signe Brewster: Is the neutrino its own antiparticle? Symmetry o1/20/16

Verantwortlich: Peter H. Jacobi (Autor von „Cosmoblog. Kosmologie: Über die Grundlagen zur Spitzenforschung von heute und morgen“; K.Fischer Verlag, September 2017)

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