Dunkle Materie Teil 4: Alternative Wege

Dunkle Materie Teil 4: Alternative Wege

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Mein letzter blogpost zum Thema Dunkle Materie endete mit dem Satz: “Könnte es sein, dass alle bisherigen Versuche die Natur Dunkler Materie zu entschlüsseln in die völlig falsche Richtung gegangen sind”? Dafür müssen wir einige Denkschablonen verlassen und  offen für  ungewöhnlichere Konzepte sein. Diese bauen auf belegten wissenschaftlichen Ergebnissen auf, die aber bisher nicht in unsere akzeptierten und weitestgehend erfolgreichen Modelle, wie z.B. das Standardmodell der Elementarteilchen passen. Für Fortgeschrittene sei angemerkt, dass damit nicht das seit Jahren durch die Literatur geisternde MOND Modell gemeint ist, das sich inzwischen so gut wie erledigt hat. MOND steht für Modifizierte Newton’sche Dynamik und erklärt das Rotationsverhalten von Galaxien mit einer Änderung des Materieverhaltens  im Gravitationsfeld statt mit Dunkler Materie.

Beispiele für die oben angesprochenen Ergebnisse, die (noch?)  nicht in unsere heutigen, akzeptierten Modelle passen, sind u.a die Neutrino Oszillation und die damit nachgewiesenen (äusserst geringen) Massen für Neutrinos, die laut Standardmodell eigentlich masselos sein müssten. Oder die Tatsache, dass die Gravitationskraft überhaupt keinen Platz im Standardmodell belegt. Sehen wir uns einige alternative Modelle und ihre möglichen Konsequenzen an.

  • Eine populäre Theorie beruht auf dem Konzept, dass die Partikel Dunkler Materie ihr eigenes Antiteilchen sind und sich bei Aufeinandertreffen gegenseitig unter Aussendung von Gammastrahlen, Positronen und anderer Elementarteilchen vernichten. Entsprechend gibt es verschiedene Ansätze, diese Gammastrahlung bzw. den Positronenüberschusss der kosmischen Strahlung zu messen. Ersteres haben wir in Teil 2 dieses Blogs schon behandelt. Für den Positronenüberschuss gibt es 2 Experimente. Das erste beruht auf der Annahme dass die Positronen von 2 schnell rotierenden Pulsaren in unserer (kosmischen!) Nähe kommen und zwar von einem Pulsar Paar in der Konstellation Zwillinge (Gemini) mit Namen Geminga und –weniger poetisch- PSR B0656+14. Dann aber müssten sie aus bestimmbaren Richtungen kommen, auch wenn sie beim Eintritt in das Magnetfeld der Erde abgelenkt werden. Satellitenmessungen haben das inzwischen ausgeschlossen.

Die Positronen kommen aus allen Richtungen in gleicher Stärke. Dies ist das Resultat jahrelanger und noch fortdauernder Messungen mit dem sog. Alpha Magnetic Spectrometer (AMS) auf der Aussenhaut der internationalen Raumstation ISS. AMS hat eine ca. viermal höhere Menge an Positronen gefunden als Wissenschaftler für die kosmische Strahlung vorhergesagt hatten. Daraus schlossen Wissenschaftler, dass als Erklärung sehr schwere Teilchen von Dunkler Materie in der Ebene der Milchstrasse in Frage kommen, die sich gegenseitig venichten. Sollte dies tatsächlich stimmen, dann müssten ihre Partikel ungefähr die Masse von 1000 Protonen haben! Dies kommt –wie wir weiter unten sehen werden-  neueren und neuesten Überlegungen sehr entgegen.

 

  • Eine andere Überlegung geht noch weiter: muss Dunkle Materie überhaupt ein Partikel sein? Könnte es sein, dass sie sich analog zur Dunklen Energie verhält, die nach heutigem Stand als intrinsische Eigenschaft der Raumzeit betrachtet wird?

 

Das Hauptargument hierfür ist, dass die Dunkle Energie, die die Expansion des Universums an jedem Punkt des Raums verursacht, überall gleich  gross ist und mit der Expansion daher durch die Vergrösserung vulgo „Verdünnung“ des Raums  nicht abnimmt. Wäre Dunkle Materie entsprechend an die Raumzeit und evtl. auch an Dunkle Energie gekoppelt, so müsste man sie als ein das Universum durchdringendes und Schwerkraft ausübendes Fluidum auffassen. Auf der anderen Seite wissen wir, dass die Dunkle Materie die Makrostruktur des Kosmos darstellt. Die ihrerseits dann die Ankerstruktur für unsere (baryonische) Materie bildet. D.h., dass Dunkle Materie klumpen muss, um diese Strukturen zu bilden. Sie durchdringt also den Raum nicht gleichmässig, sondern bildet gravitativ bedingte Verdichtungen und entsprechend Verdünnungen, wobei letztere später zu riesigen Leerräumen (voids) werden. Dunkle Materie ist also wie zahlreiche Beobachtungen und Messungen zeigen, heterogen verteilt. Damit ist sie fundamental von Dunkler Energie verschieden.

Im Urzustand nach dem „Big Bang“ war natürlich Dunkle Materie ebenfalls völlig homogen im heissen Plasma wie alle anderen Ingredienzien des Universums. Dies änderte sich erst 10-35 Sekunden danach mit der kosmischen Inflation (der ein eigener post  gewidmet sein wird). Ab dann wurde sie durch Gravitation zunehmend inhomogener, sonst hätte es keine Makrostrukturbildung im Kosmos gegeben. Dies führt zu der Schlussfolgerung (aber nicht zum Beweis), dass Dunkle Materie doch partikular ist, wie alle anderen Bausteine des Universums.

  • Im August 2017 veröffentlichten zwei Forscher der Universität Mainz (M.J.Baker & J. Kopp) eine neue Theorie zur Entstehung von Dunkler Materie. Hierzu angeregt wurden sie durch die seit Jahren negativen Ergebnisse bei der Suche nach dem heissesten Kandidaten aus der Gruppe der WIMP’s (weakly interacting massive particles, vgl. Teil 3 dieses Blogs), wie dem Neutralino, einem supersymmetrischen Teilchen. Dieses neue Modell ist als Alternative zur WIMP-Theorie anzusehen. Kern der neuen Theorie ist die Annahme, dass Dunkle Materie im Gegenatz zur bisherigen Auffassung kurz nach dem Urknall instabil gewesen sein könnte. Dies würde in Konsequenz zu einem Mechanismus führen, der in der Lage wäre,  die gefundene Menge Dunkler Materie im Universum, nämlich 25,9%, zu erklären. Wie das? Es ist heute wissenschaftlicher Konsens, dass es bei der Expansion und Abkühlung des Universums nach der kosmischen Inflation zu einer Reihe von sog. Symmetriebrüchen gekommen ist (eine ausführliche Darstellung hierzu findet sich in meinem unten zitierten Buch „Cosmoblog“; das Thema wird aber auch verkürzt in einem meiner zukünftigen posts behandelt werden). Diese Symmetriebrüche führten jedesmal dazu, dass aus dem heissen Plasma bestimmte Bausteine des Universums, also Fermionen und/oder Bosonen „ausgefroren“ sind.

Die Autoren argumentieren  nun, dass sehr kurze Zeit nach dem Urknall ein weiterer Symmetriebruch stattgefunden haben könnte, der zum Zerfall des vermuteten Teilchens der Dunklen Materie führte. Dieses könnte – den Vermutungen anderer Autoren zufolge (dazu mehr im nächsten post) – ein sehr schweres, instabiles Teilchen gewesen sein. Während des etwas später stattfindenden Symmetriebruchs, der zum sog. elektroschwachen Phasenübergang führte, bei dem die schwache Kernkraft, die elektromagnetische Kraft und die sie vermittelnden Bosonen (die Teilchen W+, W, Z0 und das Photon) „ausfroren“, wurde für das –jetzt veränderte- Teilchen der Dunklen Materie die Symmetrie wieder hergestellt. Ab da war es stabil bis zum heutigen Tag.Die sich daraus ergebenden Konsequenzen und Möglichkeiten werden Gegenstand des nächsten blogpost sein.

 

 

Headerbild: Spinnenetzstruktur des Universums; Würfel mit Kantenlänge 1 Milliarde Lichtjahre; Bolshoi Simulation. Credit: NASA, ESA and E. Hallman, University of Colorado; Boulder

Beitragsbild: Makrostruktur des Kosmos: Das kosmische Netz Dunkler Materie. Credit: Millenium Simulation, V. Springel et al.

Verantwortlich: Peter H. Jacobi (Autor von „Cosmoblog. Kosmologie: Über die Grundlagen zur Spitzenforschung von heute und morgen“; K.Fischer Verlag, September 2017)

 

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Ein Gedanke zu „Dunkle Materie Teil 4: Alternative Wege

  1. sehr interessante Ansätze, schon beim Lesen deines Buches wurde mir klar, dass wir hier noch die eine oder andere Überraschung erleben dürfen.
    Der Ansatz der beiden Forscher aus Mainz klingt für mich auf der einen Seite logisch, auf der anderen Seite passt er aber auch perfekt in das Gesamtbild als großes Ganzen (sehr subjectiv natürlich).

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