Makrostruktur der Materie im Kosmos, Teil 2: Simulationen und Beobachtung

Makrostruktur der Materie im Kosmos, Teil 2: Simulationen und Beobachtung

 

Im 1. Teil (https://cosmoblog.space/makrostruktur-der-materie-im-kosmos-teil-1) haben wir uns generell mit dem Zusammenspiel von baryonischer und dunkler Materie als Voraussetzung für die Materiestrukturbildung im Kosmos,wie wir sie kennen, beschäftigt. Nun wollen wir uns näher ansehen wie diese über die Äonen abgelaufen ist, was tatsächlich zu einer Übereinstimmung von Simulationen und Beobachtung führt.

Zusammenwirken von Dunkler und normaler Materie bei der Makrostruktur_Bildung

Die Gravitation führte dazu, dass sich Regionen höherer Dichte allmählich zu Wolken von Dunkler Materie zusammenzogen, die ihrerseits gleichzeitig »normale« Baryonische Materie einlagerten. Es bildeten sich auf diese Weise »Halos« (Höfe) von dunkler Materie mit einem zunehmenden Kern aus sichtbarer Materie – Vorläufer von Galaxien. Voraussetzung hierfür ist, dass die Dunkle Materie »kalt« war – englisch cold dark matter (CDM). Dies bedeutet, dass sich ihre (nach wie vor unbekannten) Partikel deutlich langsamer als die Lichtgeschwindigkeit bewegen. Andernfalls hätten sie der Gravitation zu sehr entgegengewirkt. Nun bildeten sich diese Zusammenballungen von Dunkler und Baryonischer Materie keineswegs zufällig an beliebigen Stellen im expandierenden Raum. Die Erkenntnis, dass es keine Zufallsverteilung von Galaxien oder auch Galaxienhaufen gibt, ist sehr neu. Erst in den letzten zirka zwanzig Jahren begannen die Astronomen die Makrostruktur des Universums zu untersuchen – also Areale, die sich über Millionen und schließlich Milliarden von Lichtjahren  erstrecken.

2 gewaltige Computer-Simulationsprogramme als Schlüssel zum Erfolg

Zwei magische Namen stehen für den Erfolg zweier gigantischer Projekte, die perfekt komplementär zueinander sind und beide das Ziel haben, die Verteilung von Galaxien und Galaxienhaufen im Universum zu untersuchen: Sloan Digital Sky Survey (SDSS) und Bolshoi. Ersteres ist eine im Jahr 2000 begonnene Kartierung von 35 Prozent des Gesamthimmels bei fünf verschiedenen Wellenlängen und verschiedenen Rotverschiebungen mit spektroskopischen, photometrischen und photographischen Mitteln durch ein 2,5 Meter optisches Weitwinkel-Teleskop in New Mexico (USA). Bis 2015 gab es zwölf Datenveröffentlichungen (Data Release 1–12), die bisher photometrische Beobachtungen von etwa fünfhundert Millionen Objekten und drei Millionen Objektspektren beinhalten. Darunter sind auch Aufnahmen von Quasaren bis zu einer Rotverschiebung von z > 6 (entsprechend zirka zwölf Milliarden Lichtjahren).

Die schiere Größe der untersuchten Himmelsausschnitte, die meist in Keilform präsentiert wird, da der Raum dazwischen nicht kartiert werden kann, wegen Staub aus unserer Milchstraße in diesen Richtungen, lässt uns durch bloßes Betrachten der erhaltenen Abbildungen Strukturen erkennen, von denen man vor einigen Jahrzehnten noch nicht einmal etwas geahnt hat. Dies stellt die folgende Abbildung aus dem SDSS exemplarisch dar:

 

                                                                               Schnitt durch die SDSS dreidimensionale Verteilung der Galaxien mit der Erde im Zentrum

                                                                                                    Credit: M. Blanton and the Sloan Digital Sky Survey, www.sdss3.org

 

 

Jeder Punkt stellt eine Galaxie mit etwa 100.000 Sternen dar. Die rötlichen Galaxien sind alt. Der Radius des äußeren Kreises beträgt zwei Milliarden Lichtjahre (Rotverschiebung  z~0,15).

Erkennung der „Spinnennetz-Struktur“ der kosmischen Marerieanordnung

Man erkennt deutlich eine Spinnennetz-Struktur mit sich kreuzenden »Fäden« oder Filamenten. Während an den Fäden die einzelnen Galaxien aufgereiht sind, repräsentieren die Kreuzungspunkte Galaxienhaufen von bis zu Hunderten oder sogar Tausenden von Galaxien! Die Filamente bestehen aus heißem Gas und Dunkler Materie mit regelmäßigen Verdichtungen, die sich zu Galaxien und Galaxienhaufen entwickeln. So sehen die Strukturen im gesamten Universum aus. Der Sloan Digital Sky Survey ist inzwischen in Regionen bis zu zehn Milliarden Lichtjahren vorgestoßen – also bis zu einer Zeit von etwa 3,8 Milliarden Jahren nach dem Urknall. Wir können von ihm in den nächsten Jahren weitere sensationelle Entdeckungen erwarten.

Bolshoi Simulation

Hinter dem zweiten magischen Namen »Bolshoi« steht ein gigantisches Computer-Simulationsprogramm, dessen Ziel es ist, durch Eingabe von gesicherten Beobachtungen sowie aller erkannten physikalischen Parameter die eine Rolle bei der Evolution des Universums spielen (wie Gravitation, Dunkle Materie, Magnetfelder, Fusion von Galaxien und Halos Dunkler Materie und so weiter), sich der Realität so weit wie möglich anzunähern. Der wichtigste Input für diese Simulationen sind die Daten von Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie und die vom WMAP-Satelliten nach fünf und sieben Jahren bestimmten kosmologischen Parameter. All diese Parameter werden rechnerisch auf Milliarden von Teilchen – mit immer größeren Ausschnitten des Universums – angewandt. Man lässt dann die Computersimulation wie eine Zeitmaschine in die Zukunft laufen, um zu sehen, wie diese Teilchen sich unter den eingegebenen Einflüssen so verändern, dass sie Anlass für die heutigen Strukturen im Universum geben. Die erste Bolshoi-Simulation startete mit 8,6 Milliarden Teilchen, wobei jedes von ihnen eine Masse von Dunkler Materie darstellt, die  zweihundert Millionen Sonnenmassen  entspricht! Natürlich wurde mit dem Bolshoi-Projekt nicht die Evolution des ganzen sichtbaren Universums simuliert, sondern ein repräsentativer Teil, nämlich ein Würfel von einer Kantenlänge von einer Milliarde  Lichtjahren.Das Hauptziel der Bolshoi-Simulationen ist die Verfolgung der Evolution von Halos Dunkler Materie und ihren Fusionen, die der Galaxienentstehung zugrunde liegen.

Perfekte Übereinstimmung von Simulation und Beobachtungswirklichkeit

Der alles entscheidende Lackmustest ist dann der Vergleich mit den tatsächlich beobachtbaren Strukturen im gesamten Universum von den Anfängen bis heute. Die Ergebnisse sind fantastisch: Die Bolshoi-Vorhersagen der Galaxienentwicklung zu verschiedenen Zeiten der Evolution des Kosmos – also der Blick über verschiedene, riesige Entfernungen – ist in ausgezeichneter Übereinstimmung mit den Beobachtungen. Damit ist Kosmologie von einer theoretischen zu einer experimentellen Wissenschaft geworden – ein Triumph der Astrowissenschaften.In vergleichbaren Himmelsausschnitten des Sloan Digital Sky Survey entspricht die Bolshoi-Simulation – statistisch ununterscheidbar – der Verteilung der sichtbaren Galaxien. Wir können also die Evolution von Struktur im Universum mit hoher Sicherheit nachvollziehen – und sogar vorhersagen.

Die Materie im Universum – und zwar sowohl die dunkle als auch die sichtbare – hat sich unter dem Milliarden Jahre währenden Einfluss der Gravitation also in riesigen Filamenten gesammelt und angeordnet, die teilweise auch als Wände erscheinen (da diese Filamente natürlich nicht eindimensional sind) und an deren Schnittstellen die Materieansammlungen zu gigantischen Galaxienhaufen geführt haben. Hierbei hat immer die Dunkle Materie, die ja im fünffachen Überschuss der sichtbaren Materie existiert, eine »Ankerfunktion« übernommen und die Baryonische Materie im Zentrum ihrer riesigen Halos konzentriert. Die Materiekonzentration in diesen Filamenten hat weiter dazu geführt, dass unvorstellbar große Teile des Kosmos an Materie soweit verarmten, dass man von Leerräumen (sogenannten voids) spricht. Wie wir später sehen werden, spielen diese eine unerwartet wichtige Rolle bei der Erklärung anderer ungelöster kosmischer Probleme.

Der Kosmos ist also tatsächlich von einem 3D-»Spinnennetz« von Materie durchzogen.

 

Dies ist im Beitragsbild, das aus der Bolshoi-Simulation stammt, exemplarisch wiedergegeben. Dem aufmerksamen Leser wird es nicht entgangen sein, dass das jeden blogpost begleitende header-Bild eine Ausschnittsvergrösserung dieses Beitragsbildes ist. Ich habe es auch als Titelbild meines Buches “Cosmoblog” ( s. unten) ausgewählt.

 

Headerbild = Beitragsbild:  Spinnenetzstruktur des Universums; Würfel mit Kantenlänge 1 Milliarde Lichtjahre; Bolshoi Simulation. Credit: NASA, ESA and E. Hallman, University of Colorado; Boulder

 

 

Verantwortlich: Peter H. Jacobi (Autor von „Cosmoblog. Kosmologie: Über die Grundlagen zur Spitzenforschung von heute und morgen“; K.Fischer Verlag, September 2017)

 

 

 

 

 

 

 

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